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Literarischer Abend am JEG zum 8. Mai

13. Mai. 2025

An das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai vor genau 80 Jahren wurde am Julius-Echter-Gymnasium auf besondere Weise erinnert. Am Abend versammelten sich Schüler, Lehrkräfte, Eltern und Gäste im Hilde-Domin-Saal des Julius-Echter-Gymnasiums, um an einer besonderen Veranstaltung teilzunehmen. Unter dem Titel „Die Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel“ – ein Zitat aus Wolfgang Borcherts Erzählung „Die drei dunklen Könige“ – fand ein literarischer Abend mit Texten zum Thema Krieg statt.

In ihrer Begrüßung bezog sich Schulleiterin Petra Hein auf die berühmte Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Richard v. Weizsäcker, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zu verstehen. Anschließend lasen Alexander Thum, Bertram Söller, Anja Hirdina und Raimund Trosbach Texte von Hilde Domin, John von Düffel, Helga Schubert und Günter Grass; dem Publikum bot sich so ein facettenreicher Blick auf Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, mal heiter, mal schockierend, aber immer berührend. Besondere Aufmerksamkeit galt dem ehemaligen Schulleiter Manfred Geltinger, der als Zeitzeuge in einem bewegenden Gespräch mit Bertram Söller seine Erinnerungen an das Kriegsende 1945 teilte – eine seltene Gelegenheit, Geschichte aus erster Hand zu erfahren.

Zwei musikalische Beiträge, von Jona Brand einfühlsam gespielt, unterstrichen die Stimmung der Lesungen. Viel Applaus bekam Lea Bachmann für ihren Poetry-Slam-Text „Waffen schweigen – Worte nicht, in dem sie an die politische Verantwortung gemahnte, die mit dem Gedenktag einhergehe, denn „80 Jahre Frieden sind kein Besitz, keine Garantie, sie sind ein Versprechen“, so Bachmann.

Nach einer kurzen Pause ging das Programm mit Texten von Ernst Jandl, Erich Fried, Stig Dagerman und Moritz Seibert weiter, ausdrucksvoll vorgetragen von Susanne Ingenbleek, Jens Pollakowski und Susanne Pfefferer. Höhepunkt dieses zweiten Teils war sicherlich Harmut Beils Lesung einer Szene aus dem Nachkriegsdrama „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert. Beils Vortragskunst ließ die Zuhörerschaft deutlich ergriffen zurück. Mit dem Text „Abschied von Amerika“ setzte Heinz Linduschka durch den schonungslosen Blick auf die von Trump gebeutelten USA den passenden Schlusspunkt unter einen literarischen Abend, der zeigte, wie gerade durch Literatur die Erinnerung lebendig erhalten werden kann.

Thum


Waffen schweigen – Worte nicht

Ein Text von Lea Bachmann zur Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945

80 Jahre –

Das ist eine Zeitspanne, die in Staub zerfällt,

wenn ich versuche, sie in meine Hände zu nehmen.

Eine Zeitspanne, die Geschichten trägt,

die ich nur aus Büchern kenne.

80 Jahre –

Fünf Generationen, fast ein Menschenleben lang

und gleichzeitig nur ein einziger Herzschlag in der Geschichte.

80 Jahre –

Das sind verblasste Gesichter auf vergilbten Fotos,

sind Stimmen, die langsam leiser werden,

bis sie nur noch flüstern,

in staubigen Büchern und stillen Gedankenreden.

80 Jahre –

Und ich stehe da,

auf dem Boden, der damals bebte,

auf dem Boden, der heute trägt –

mich, uns, alle,

die vergessen könnten, wenn sie wollten.

Ich habe keinen Krieg erlebt.

Kein Beben unter meinen Füßen,

keine Sirenen in der Nacht,

kein Flüstern von Angst in Kellern aus Stein.

Für mich ist dieser Krieg, zum Glück,

ein Kapitel im Geschichtsbuch,

ein Mahnmal in der Innenstadt,

eine Kerze am Volkstrauertag,

eine kurzer Beitrag in den Nachrichten.

Ich bin geboren in einem Deutschland

das Frieden nennt, was es für normal hält.

Doch Frieden ist kein Naturgesetz.

Kein Sonnenuntergang, der einfach so passiert. Frieden ist eine Entscheidung

Immer und immer wieder.

80 Jahre –

Und ich lerne:

Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist das tägliche, das mühselige,

das gemeinsame Bauen einer Brücke,

wo Misstrauen ein Fluss sein könnte.

80 Jahre –

Und ich begreife:

Es ist ein Geschenk,

aber auch eine Aufgabe.

Eine Kerze in der Dunkelheit, die ich tragen muss,

auch wenn der Wind auffrischt.

Gerade dann, immer dann.

80 Jahre Kriegsende bedeutet für mich,

dass ich tanzen darf,

wo andere auf Trümmern standen.

Dass ich sprechen darf,

wo andere schwiegen vor Angst.

Dass ich leben darf,

ohne das Leben jeden Tag gegen den Tod verteidigen zu müssen.

Und es bedeutet,

dass ich aufpassen muss,

dass ich aufstehen muss,

dass ich erinnern muss.

Nicht aus Schuld, sondern aus Respekt.

Nicht aus Angst, sondern aus Verantwortung.

Nicht, weil die Geschichte sich wiederholen muss, sondern, weil sie es könnte,

wenn wir sie schlafen lassen.

80 Jahre Kriegsende –

Und ich sehe, wie leicht Risse entstehen

in den Mauern unseres Zusammenlebens.

Wie schnell Worte wieder zu Waffen werden können.

Wie leicht sich Mauern bauen lassen

und wie schwer sie wieder einzureißen sind.

Für mich bedeutet es:

Hinhören, wo andere verdrängen wollen.

Reden, wo andere schweigen wollen.

Erinnern, wo andere vergessen wollen.

Es bedeutet für mich,

die Stille wertzuschätzen, in der ich heute träumen darf –

ohne Bomben, ohne Angst.

Es bedeutet, dass meine Freiheit auf den Trümmern von damals wächst.

Dass mein Lachen der schönste Widerspruch,

gegen den Wahnsinn von damals ist.

80 Jahre Kriegsende –

Bedeutet für mich die Verpflichtung,

den Frieden nicht als Erbe,

sondern als Aufgabe zu verstehen.

Es bedeutet, dass ich fragen darf, zweifeln, widersprechen,

dass ich lernen muss zu erinnern,

auch wenn es nicht meine Wunden sind.

Denn 80 Jahre Frieden sind kein Besitz, keine Garantie,

sie sind ein Versprechen,

das wir jeden Tag neu einlösen müssen.

Mit Respekt, mit Mut, mit offenen Augen für das,

was war – was nie wieder sein darf.

80 Jahre Kriegsende –

Bedeutet für mich, dass ich Verantwortung trage,

die Geschichte derer zu bewahren,

die keine Stimme mehr haben.

Und dass ich laut werde,

wenn die Welt beginnt, sie wieder zu vergessen.

Lea Bachmann