Is poetry still relevant?
Ein deutsch-englischer Lyrik-Workshop mit der nordirischen Dichterin Jo Burns in der 10+A
‚Gedichtanalyse‘ – bei diesem Begriff stehen vielen Schülerinnen und Schülern die Haare zu Berge, andere können ein herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken.
Nach einigen Diskussionen im Deutschunterricht darüber, ob z.B. die Wortwahl oder die Lautgebung eines Gedichtes wirklich bewusst vom Autor gewollt ist oder sich nur zufällig ergeben hat, beschlossen die Deutschlehrerin der 10+A, Frau Hirdina, und ihr Kollege Ferhat Bilgin, der Englischlehrer der Klasse, die Autorin Jo Burns einzuladen, um sie über ihren Schaffensprozess und die Relevanz von Lyrik in der heutigen Zeit zu befragen.
Jo Burns, die aus Nordirland stammt, aber seit ca. 20 Jahren in Miltenberg lebt, hat mit ihren Werken bereits einige Preise gewonnen und zwei Gedichtbände veröffentlicht, ein dritter wird 2024 erscheinen.
Sie beginnt ihren Vortrag mit dem Hinweis, dass Poesie durchaus auch heutzutage noch Relevanz besitze, was der Auftritt der Poetin Amanda Gorman bei der Amtseinführung von Joe Biden zeige, oder die Tatsache, dass aktuell in Myanmar Dichter mit Veröffentlichungsverbot oder sogar Haft belegt werden, da ihre Werke und deren Wirkung von den Machthabern gefürchtet sind.
Zum Beweis, wie bewusst Autoren gerade in der Lyrik mit Sprache umgehen, präsentiert sie einen Auszug aus einem Text des ihrer Meinung nach im Moment begabtesten englischsprachigen Dichters: Eminem.
Es gelingt ihr, das engmaschige Geflecht von Reimen, Binnenreimen und Rhythmus in seinem Werk zu visualisieren und zu zeigen, dass eine solche Dichte an sprachlichen Effekten schwerlich per Zufall zustande kommt, getreu dem Motto: „Prose: words in their best order; poetry: the best words in the best order.“ (Samuel Taylor Coleridge)
Im Anschluss stehen drei ihrer eigenen Gedichte im Mittelpunkt, die die Schülerinnen und Schüler im Vorfeld mit ihrem Englischlehrer bereits kennengelernt haben. Selbstkritisch merkt Jo Burns an, dass sie in dem politischen Gedicht „Heart or Reason“ heute aus lautlichen und rhythmischen Gründen Änderungen vornehmen würde. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern werden die „Unebenheiten“ geglättet. Bei den Texten „March“ und „Truth“ handelt es sich ebenfalls um politische Lyrik, die jeweils Spaltungstendenzen in der Gesellschaft thematisieren. Ihr Faible für politische Texte sei ihrer Jugend geschuldet, in der sie den Nordirlandkonflikt hautnah miterlebt habe, so Burns. Auf die Zeit angesprochen, die sie für einen ihrer Texte aufwendet, antwortet sie, dass sie jedes Gedicht mehrmals überarbeite und bis zu sechs Monate daran feile. Dass ihre Texte manchmal auch anders gedeutet werden, als sie selbst es intendiert hat, wie auch bei einem Beispiel in dieser Veranstaltung, findet sie immer wieder faszinierend.
Zuletzt darf die 10+A mithilfe von Anregungen der Autorin in einer „Poetry exercise“ ihr Talent unter Beweis stellen und es ist erstaunlich, welche Texte in so kurzer Zeit entstehen. Texte, die es durchaus wert wären, nochmals überarbeitet zu werden. So entstand beispielsweise bei einem Schüler spontan ein Werk, das laut Dichterin der ‚Ecopoetry‘ zuzuordnen sei, also einer Dichtung, die sich mit Umweltaspekten beschäftigt und die Verbindung zwischen Mensch und Natur betont. Zum Glück überlässt Frau Burns den Lehrkräften noch einige praktische poetische Übungen für künftige Lyrikstunden, in denen die Schülerinnen und Schüler der 10+A jetzt sicherlich einen anderen Zugang zur Poesie finden werden. Ein herzliches Dankeschön dafür an Jo Burns!
Bilgin und Hirdina