Wenn Lehrer freiwillig vorlesen – ein Rollentausch der etwas anderen Art
Jubiläumslesung „Früher war alles besser! – Schule und Literatur“ im Julius-Echter-Gymnasium Elsenfeld
„Früher war alles besser!“ Diese von den älteren Generationen zuweilen häufig gebrauchte Floskel und dieses pessimistische Verdikt war am Mittwoch, den 25. Mai 2022, das Motto der Jubiläumslesung am Julius-Echter-Gymnasium Elsenfeld. Ein Vorwurf, in dem allgemeine Entrüstung über aktuelle Bildung und Erziehung mitschwingt. Trotzdem lässt es sich nicht leugnen, dass gerade Schule, der Ort des Geschehens, dem unaufhaltsamen Wandel der Zeit unterliegt. Obgleich viele nach wie vor darauf insistieren, dass sich alles ausschließlich zum Schlechten verändert habe, so stellt sich nichtsdestotrotz die Frage: War Schule früher vielleicht einfach nur anders als heute?
Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Julius-Echter-Gymnasiums Elsenfeld lasen engagierte Lehrer und Lehrerinnen Auszüge aus Werken bekannter Autoren vor, die sich allesamt um das Thema schlechthin drehten: Schule. Obendrein schlüpften die Lehrer, die Schüler ja angeblich des Öfteren dazu nötigen würden, mit möglichst klarer und bitte lauter (!) Stimme einen Text vorzutragen, nun selbst in die Rolle des Vorlesenden. Die simple Erklärung für dieses Kuriosum: „Lehrer brauchen ein Publikum, auch nach Feierabend“, so Bertram Söller, ehemaliger Deutsch- und Religionslehrer am JEG, der die Lesung mit Erich Kästners berühmter „Ansprache zum Schulbeginn“ eröffnete.
Das Repertoire des Abends umfasste heitere und lustige, teilweise auch nachdenkliche Texte, die von den Lehrkräften des JEG gekonnt vorgetragen wurden. Es lasen vor: Anja Hirdina, Susanne Ingenbleek, Susanne Pfefferer, Dr. Bertram Söller, Raimund Trosbach, Lone Wulff und Alexander Thum, der zudem für die Moderation zuständig war. Andächtig lauschte das rund 50-köpfige Publikum den Abenteuern des vorlauten Sams (Paul Maar), litt während einer Latein-Abfrage mit Buddenbrook-Sprössling Hanno aus Thomas Manns gleichnamigem Weltbestseller und warf einen Blick in die Welt einer 50-jährigen, alteingesessenen Biologielehrerin in Judith Schalanskys „Der Hals der Giraffe“. Selbst die Kunst des Abfassens von Entschuldigungen, die Schüler zu qualitativ hochwertiger Prosa befähigt, war ein Thema des Abends. Literarisch gipfelte der Schulalltag schließlich in eine Horrorszene mit fast schon symbolträchtigem Charakter: Die von Lehrern stets herausgezögerte Aushändigung der Klausuren, die sich als pure Folter der ohnehin schon zum Zerreißen gespannten Schülernerven entpuppt, wie auch der Protagonist aus Ewald Arenz´ Roman „Der große Sommer“ am eigenen Leib zu spüren bekommt.
Die Lesung verging bei all den spannenden Geschichten im Handumdrehen und ehe es sich die Zuhörer versahen, verklang bereits der letzte Text, der letzte Satz und irgendwann auch das letzte Wort des Abends im Hilde-Domin-Saal.
Ein Dankeschön an diejenigen Schülerinnen und Schüler Q 11, die für die Verköstigung an diesem Abend sorgten. Der größte Dank gilt schließlich allen beteiligten Lehrkräften, die ihre Texte durchweg authentisch und kunstvoll vorgetragen haben und das Publikum so mühelos zum Zuhören bewegen konnten.
Schade, dass dieser Rollentausch nicht von Dauer ist, dachte sich wohl der ein oder andere beim Verlassen des Schulhauses. Es ist doch schön mitanzusehen, wenn Lehrerinnen und Lehrer selbst einmal vorlesen, statt diese Aufgabe ihren Schülern zuzuteilen. Ob es das früher gegeben hätte …? Die Antwort liefert die Feststellung, dass heutzutage wohl doch nicht alles schlecht(er) ist.
Sabrina Ball