„Haken dran, es war gut“
Nicht nur Schüler verlassen irgendwann einmal ihre Schule – auch Lehrer sind vom Abschiednehmen nicht gefeit: Ein Interview mit den Lehrkräften Raimund Trosbach und Susanne Schneider vom Julius-Echter-Gymnasium anlässlich ihrer diesjährigen Verabschiedung in den Ruhestand.
Das Ende des Schuljahres rückt zunehmend in greifbare Nähe und mit ihm die lang ersehnte Erholungszeit: Sommerferien. Doch nicht nur Schüler, auch zwei Lehrkräfte dürfen sich demnächst in eine Phase der Erholung verabschieden, allerdings dauerhaft. Nach ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit als Lehrer verlassen Raimund Trosbach und Susanne Schneider 2025 das Kollegium des Julius-Echter-Gymnasiums Elsenfeld. Ex-Schülerreporterin Sabrina Ball traf sich am 17.07.2025 für ein Interview mit den beiden scheidenden Lehrkräften. Die zum personellen Grundstock des JEG zählenden Pädagogen kamen dabei nicht umhin, noch einmal in Erinnerungen an die zurückliegende Schulzeit zu schwelgen und über Pläne für nach der Pensionierung zu sprechen.
Sind Sie bei dem Gedanken an das baldige Ende Ihres Lehrerdaseins schon etwas wehmütig gestimmt?
Raimund Trosbach: Natürlich, denn man sieht Kollegen, Schüler und ganze Klassen, mit denen man gerne zusammengearbeitet hat, nur noch selten. Aber das ist ein Lebensabschnitt, der zu Ende geht; das gehört dazu.
Susanne Schneider: Ich freue mich zu 95% auf die Zeit nach der aktiven Schulphase, zu 5% empfinde ich ein kribbeliges Gefühl, denn mit manchen Kollegen sind echte Freundschaften entstanden. Und auch das Miteinander mit den vielen munteren Kindern/Jugendlichen wird mir wohl ab und zu fehlen. Aber es ist sehr schön, dass ich zukünftig mehr Zeit habe, die bestehenden Freundschaften zu pflegen, das heißt: Ich falle nicht ins Nichts.
Ein kleiner gedanklicher Vorgriff: Mit welchem Gefühl werden Sie wohl an Ihrem allerletzten Schultag morgens aufwachen?
RT: Mit einem komischen, aber auch wenn der Wermutstropfen dabei ist, freue ich mich auf später.
SuS: Ich denke, es wird ein positives Gefühl sein, aber ich glaube, an dem Tag ist es mehr als die besagten 5% Wehmut.
Und in welcher Gemütslage werden Sie das JEG später verlassen?
RT: Ich könnte mir vorstellen, dass ich an dem Tag vielleicht in ein kleines Loch falle. Ich hoffe, dass mich meine Frau dann auffängt. (lacht)
SuS: Ich muss zunächst meine ganzen „Schätze“ wegräumen. Ich habe hier so vieles, etwa Modelle oder Spiele, gelagert. (…) Mein Mann und ich haben außerdem Karten für das Mainmusical auf der Clingenburg und sind abends also hoffentlich sehr positiv abgelenkt.
Warum haben Sie sich für den Beruf des Lehrers entschieden?
RT: Da ich geschichtsinteressiert bin, wollte ich ursprünglich Archäologe werden. Aber als ich erfahren habe, dass es fast keine Plätze gibt und die Chancen schlecht sind, habe ich umgeswitcht. Mein Vater war Lehrer, ich habe also gesehen, wie der Laden läuft – nicht nur aus Schülerperspektive. Als Jugendlicher habe ich außerdem schon Nachhilfestunden und Flötenunterricht, gegeben, und gemerkt: Das liegt mir, ich habe Lust darauf.
SuS: Für mich gab es anfangs nur zwei Optionen: Entweder mache ich etwas mit Tieren oder mit Menschen. Nach einem Praktikum beim Tierarzt war mir jedoch klar, dass das auf keinen Fall geht. Ich bin seit vielen Jahren Vegetarierin und könnte nicht mittragen, wie dort mit Tieren umgegangen wird. Später habe ich an der ehemaligen Sonderschule in Elsenfeld ein Praktikum gemacht und mir hat die Arbeit mit den Kindern sehr gut gefallen. Ich strebte schließlich etwas dazwischen an – wissenschaftlich und mit Kindern – deshalb fiel meine Wahl auf Gymnasiallehramt. Fazit: Ein Schlenker rechts, ein Schlenker links, und dann in die Mitte.
Was macht den Beruf des Lehrers attraktiv und was hat Sie rückblickend daran gestört?
RT: Attraktiv ist die Arbeit mit Jugendlichen, das war für mich total erfüllend. Je älter du wirst, desto schneller merkst du, dass du ohne den Lehrerberuf viel weiter von den Jugendlichen, von ihrem Denken und Sprechen entfernt wärst. Trotz sozialer Medien gibt es immer noch viele „normale“ Jugendliche, auch an unserer Schule. Dadurch habe ich mir einen gewissen Zukunftsoptimismus bewahrt. (…) Mich störte hauptsächlich die zunehmende Bürokratie. Man muss oft Konzepte „für die Tonne“ erstellen und wird im bayerischen Schulsystem sehr „engmaschig“ betreut, um es vorsichtig zu formulieren. Auch mit altbekannten Problemen hat man zu kämpfen, denn es ist immer Druck da, wenn man nach Hause kommt und etwas auf dem Tisch liegt: Wann korrigiere ich den Kram? Wie kann ich mein Wochenende gestalten und am Montag trotzdem für die Schule vorbereitet sein? (…) Man trug also immer eine Art „Schulkorsett“. Darunter litten natürlich auch Freundschaften.
SuS: Es war vorteilhaft, sich die Arbeitszeit zuhause einteilen zu können. So konnte ich morgens ungestört arbeiten, denn ich bin seit jeher Frühaufsteherin. (…) Daneben ist die die Arbeit mit den Kindern eine tolle Sache. Man bekommt immer etwas zurück und kann somit auch von ihnen lernen. Vor allem in den W-Seminaren hatte ich beispielsweise immer Input – wie eine Fortbildung am selbstgewählten und von Schülern gewünschten Thema. In den P-Seminaren „Vegetarisch kochen“ konnte ich die Teilnehmer vielleicht auf neue Ideen bringen, indem wir Themenbereiche gemeinsam erarbeiteten und feststellten: Es gibt so viele Dinge jenseits von „Leichenteilen“, die schon sehr lecker sind. (…) Insbesondere als OSK war es manchmal eine Herausforderung. Denn in einigen Fällen bildet die zugrunde liegende Theorie der ASV nicht so ganz die individuelle Wirklichkeit der Situation einzelner Schüler ab. Auch da waren kreative Lösungen gefragt. (Anm. d. Red.: ASV = Amtliche Schulverwaltung). Es gibt außerdem Zeiten, in denen die Arbeitsbelastung einem riesigen Berg gleicht, vor allem vor und während der Abiturphasen. Privates wird da oft nach hinten geschoben.
Gab es Momente, in denen Sie die Lehrerkarriere wegen solcher Momente der Verzweiflung an den Nagel hängen wollten?
RT: Mir fällt kein einziger ein.
SuS: Eindeutig nein.
Der Arbeitsalltag eines Lehrers ist im Hinblick auf Unterrichtsgestaltung und Stoffvermittlung manchmal von einer gewissen Monotonie geprägt. Gibt es ein Patentrezept, um dem Alltagstrott entfliehen und mehr Abwechslung generieren zu können?
RT: Der Lehrplan bietet durchaus Möglichkeiten, um flexibel zu sein und persönliche Steckenpferde zu reiten: Ich konnte Fahrten organisieren, war beispielsweise vor kurzem mit den Elftklässlern für eine Exkursion in Trier. Natürlich gibt es einen gewissen Grundstock, und wenn du etwas 30-mal gemacht hast, wird es langweilig. (…) Man muss letztendlich selbst aktiv werden. So habe ich zeitweise Musik, Ethik oder Kunst unterrichtet, weil keine anderen Lehrkräfte verfügbar waren. Oder sich spannende W-Seminare ausdenken und abhalten, all das ist Herausforderung und Abwechslung zugleich.
SuS: Ich bin seit 1989 an der Schule und konnte 2009 OSK werden. Damals dachte ich, viele, viele Jahre nur zu unterrichten könne vielleicht mal langweilig werden. Aber das war nie der Fall, denn es kam ja noch das Fach Ethik in der Unter- und Mittelstufe dazu. Studiert hatte ich nur Biologie und Chemie. Die letzten drei Jahre habe ich auch Enrichment-Kurse rund um das Thema „Wölfe“ geleitet. Es gab also immer Möglichkeiten, etwas Neues auszuprobieren.
Manche Leute, insbesondere „Lehrer aus Leidenschaft“ finden in ihrem Beruf eine Art Lebensaufgabe oder einen existenziellen Hauptinhalt. Gilt das auch für Sie?
RT: Ich habe Kollegen, die ihren Beruf als Lebenselixier ansehen, immer misstrauisch beäugt, weil ich das Gefühl hatte, dass es für sie nichts anderes gibt. Das war mir fremd. Es gibt andere Bereiche im Privatleben wie Hobbys, die mir auch wichtig sind. Letztere würde ich dafür nicht schleifen lassen, um jedes Wochenende mit Schülern zum Zeltlager zu fahren oder mich auch da nur dem Beruf zu widmen.
SuS: Mein Lebenselixier ist es nicht, nein. Ich bin mir sicher, dass es etliche andere Berufe gibt, mit denen ich genauso glücklich geworden wäre.
Gibt es etwas, das Sie im Laufe der Zeit als Lehrer am JEG für sich gelernt oder mitgenommen haben bzw. woran Sie als Person wachsen konnten?
RT: Sicherlich an schwierigen Situationen. Etwa als eine Mitschülerin meiner Tochter in der achten Klasse einen tödlichen Unfall hatte oder sich ein Suizidfall an unserer Schule ereignete. Es stellt sich immer die Frage, wie man dann mit den Schülern umgehen soll. Obwohl man dabei an seine Grenzen kommt, kann es die Schulfamilie auch zusammenschweißen.
SuS: Für mich war es beispielsweise der Indien-Austausch. Nachdem mich eine Kollegin gefragt hatte, ob ich mitfahren wollte, habe ich zur Wiederholung einen Englisch-Kurs belegt und es mir dann tatsächlich zugetraut. Es war toll und hat meinen Horizont erweitert. (…) Auch konnte ich durch meine größer werdende Fächer- und Kursauswahl wachsen und mich weiterentwickeln. Rückblickend kann ich sagen, dass die Zeit am JEG eine runde Sache war, auch durch die Förderung durch die jeweilige Schulleitung und die Zusammenarbeit mit den Kollegen. Haken dran, es war gut.
Wie würden Sie von Ihren ehemaligen Schülern als Lehrkraft in drei Worten beschrieben werden?
RT: Wahrscheinlich fachkompetent, witzig-ironisch und empathisch.
SuS: Am Fach und an den Schülern interessiert sowie darum bemüht, Regeln einzuhalten.
An welche Erlebnisse mit Schülern oder Kollegen, auf Ausflügen, Klassenfahrten etc. erinnern Sie sich besonders gerne?
RT: Definitiv die Theateraufführungen mit Frau Hessel. Oft waren sie zwar sehr anstrengend, weil man den Text lernen musste und auf der Bühne ordentlich Lampenfieber hatte. Andererseits war es auch eine Herausforderung, weil man sich aus der Komfortzone begeben hat. (…) Die Organisation und Durchführung von vielen Frankreich-Austauschen und das Louvre-Projekt zusammen mit Petra Hein, die Hochgebirgstour einiger Kollegen im Ötztal und die Alpentouren von P-Seminaren mit Kollegen wie Joachim Weydt, Bertram Söller, Ute Vogel und Elfriede Braun zählen auch dazu. Besonders witzig bei Letzteren war die Abmachung mit den Schülern, dass sie uns Lehrer ab einer Höhe von 3000 Meter duzen durften. Wenn wir wieder auf 2999 Meter herabgestiegen sind, war erneut das Siezen angesagt. Um es in den Worten eines Altbayern zu formulieren: Des is a Gaudi gwen! (lacht)
SuS: Gleich zu Beginn meines Lehrerdaseins haben mich Schüler total verarscht: Ich wollte damals eine Ex schreiben, obwohl die Schüler bereits eine Schulaufgabe geschrieben hatten, wovon ich nichts wusste. Die Ex-Angaben wurden ausgeteilt und die Arbeitszeit begann. Schon fing der Erste mit dem Spicken an, dann der Zweite und so weiter. (…) Beim Einsammeln traute ich meinen Augen kaum: Alle hatten als Name entweder Müller, Meier oder Schneider angegeben. Später klärten sie mich auf. Ich wusste nicht, wie mir geschieht. (…) Thema der Ex war der Bienentanz und manche Schüler präsentierten sehr kreative Antworten: „Die Biene kam nach Hause und tanzte einen Lambada mit einem schicken Drohn.“ Beim Durchlesen konnte auch ich endlich lachen und prämierte in der nächsten Stunde die originellsten Antworten. Obwohl sie mich aufs Kreuz gelegt haben, fand ich den Zusammenhalt und den Einfallsreichtum der Schüler toll. Es war ja nichts Schlimmes.
Gab es auch die ein oder andere Peinlichkeit aus der Schulzeit, die Ihnen im Gedächtnis hängen geblieben ist?
RT: Ich habe einmal eine Latein-Schulaufgabe zuhause liegen gelassen und musste nochmal zurückfahren. Inzwischen hatte mich ein Kollege vertreten, sodass ich die Klausur eine Stunde später abhalten musste. Megapeinlich. Ein anderes Erlebnis hat sich bei einer Bergtour ereignet: Ich lief gerade einen Weg mit den Schülern entlang und erklärte ihnen: Passt genau auf, wo ihr hintretet, man kann schnell hinfallen! Eine Minute später segelte ich den Abhang hinunter und demonstrierte ihnen, wie man es nicht machen soll. Das war mir auch saupeinlich. (lacht)
SuS: Manchmal haben Kinder auch Sachen von zuhause ausgeplaudert, bei denen ich mir dachte: Wenn eure Eltern wüssten, was ihr in der Schule erzählt … In einer fünften Klasse ging es einmal um das Thema Hygiene, genauer, dass man nach dem Toilettengang selbstverständlich die Hände wäscht. Da meinte doch ein Kind tatsächlich: „Meine Mama sagt das auch immer zu Papa, der wäscht nämlich nach dem Klo nie die Hände.“ Eine Woche später war Elternsprechtag und eben jener Papa hielt mir zur Begrüßung die Hand hin. Es ist natürlich klar, welche Bilder mir in den Kopf schossen.
Verlassen Sie die Schule zusammenfassend also mit einem weinenden und einem lachenden Auge?
RT: Ja, weil man bestimmte Sachen nicht mehr erleben und mit den entsprechenden Leuten nicht mehr dauerhaft zusammen sein kann. Freudig gestimmt bin ich deshalb, weil ich in eine neue Phase gehe.
SuS: Definitiv, aber das lachende überwiegt deutlich.
Welche Tipps können Sie werdenden Kollegen mit auf den manchmal steinigen Weg zum erfahrenen Lehrer geben, den Sie beide bereits erfolgreich beschritten haben?
RT: Man muss sich auf die Schülerebene einlassen können und nicht von oben herab mit ihnen agieren. Angehende Lehrer, insbesondere junge Kolleginnen, sollten sich von dem Beruf nicht kaputt machen lassen, sich nicht übernehmen. Es gibt viele mit einer wahnsinnigen, teilweise 150%igen Arbeitsbereitschaft, die irgendwann einen Burnout riskieren. Man muss höllisch aufpassen und irgendwie die Kurve kriegen.
SuS: Offen sein für Schüler und diese mögen. Wer keine Kinder und Jugendlichen mag oder ihnen nur mit Skepsis gegenübersteht, der wird ein hartes Leben in diesem Beruf haben. Man muss sich auf sie einlassen können. (…) Und gelegentlich ist man eben gezwungen, fünf auch mal gerade sein zu lassen.
Zum Abschluss: Haben Sie schon Pläne für Ihre Zeit nach dem Abschied vom JEG?
RT: Ich habe Pläne und will mal etwas anderes machen. So bin ich beispielsweise ein Weitwanderer und freue mich darauf, Deutschland durchstreifen zu können. (…) Wir haben uns außerdem eine Wohnung in Fulda gekauft, werden umziehen und dort einen komplett neuen Bekanntenkreis aufbauen müssen. Ich will mich dort in der Behindertenarbeit, im Alpenverein und bei Umweltprojekten engagieren.
SuS: Ganz so spannend ist es bei mir nicht. (lacht) Wir bleiben hier, aber ich freue mich darauf, die Gartenarbeit nun verstärkt anzugehen. Außerdem plane ich, das Gehege meiner Schildkröten weiter auszubauen. Mein Mann ist in dem Verein „ChurNatur“ aktiv, dort werde ich auch einsteigen. Ich bin daneben in einem Literatur-Kreis und möchte noch zwei Sprachkurse absolvieren: Englisch und Italienisch. (…) In der Sommerzeit gehe ich nahezu jeden Tag nach der Schule schwimmen und bin dahingehend nun künftig auch ungebundener. Ich freue mich einfach auf die freie Zeit alleine und mit lieben Menschen.
Vielen Dank für das Interview. Ich wünsche Ihnen entspannte, ereignisarme letzte Schultage, eine schöne gemeinsame Zeit mit der Familie und alles Gute für die Zukunft!
RT/SuS: Vielen Dank!

