Fahrt der 9. Klassen nach Weimar und Buchenwald
Wie alle Exkursionen musste auch die traditionelle Fahrt der 9. Jahrgangsstufe nach Weimar eine coronabedingte dreijährige Zwangspause einlegen. Dass sie in diesem Jahr vom 19. bis 21. Juli stattfinden konnte, ist deswegen schon eine Erwähnung wert; auch, weil der Lehrplan für das Fach Geschichte der 9. Jahrgangsstufe den Besuch eines Erinnerungsortes an die NS-Diktatur zwingend vorschreibt, die Fahrt also unerlässlicher Bestandteil – nicht nur der gymnasialen – Bildung ist. Außerdem wurde sie zum ersten Mal von Geschichtslehrer Marcel Giloj organisiert und auch durchgeführt, der diese Aufgabe von Joachim Schweizer übernommen hat.
Was diese Fahrt auszeichnet, ist zum einen die Möglichkeit, sich als Gemeinschaft zu erleben: Vielfältige soziale Interaktionen in teilweise neuen Umgebungen verhelfen den Schülerinnen und Schülern zu neuen Erfahrungen, die bisweilen wenig spektakulär anmuten, etwa die eigenständige Zimmereinteilung in der Jugendherberge, das Bettenmachen oder das Einhalten vereinbarter Zeiten. Doch selbst Unscheinbares kann wichtige Werte vermitteln, zum Beispiel die Einsicht in die Notwendigkeit bestimmter Regeln für ein funktionierendes Miteinander.
Einzigartig innerhalb des Fahrtenkonzepts des JEG ist sicherlich das ambitionierte Programm, welches den Schülerinnen und Schülern in nicht ganz drei Tagen geboten wird und sowohl 1000 Jahre deutsche Geschichte wie exzeptionelle Höhe- und Tiefpunkte derselben umfasst. Das erste Ziel der Fahrt, die 1067 von Ludwig dem Springer erbaute Wartburg unweit von Eisenach, würde man intuitiv wohl zu den Höhepunkten rechnen, immerhin hat sich hier von 1521 bis 1522 Martin Luther aufgehalten und mit der Übersetzung des Neuen Testaments der deutschen Sprache wichtige Impulse gegeben. Das berühmte Wartburgfest 1817 steht dann für den Wunsch der Deutschen nach nationaler Einheit und politischer Freiheit, aber mit der Verbrennung der Schriften jüdischer Autoren im Rahmen dieses Festes offenbart sich unübersehbar der völkische Antisemitismus, der ebenfalls im 19. Jahrhundert wurzelt.
Diese Ambivalenz geschichtlicher Erinnerungsorte gerade in Deutschland symbolisiert Weimar auf prototypische Weise: Mit Goethe- und Schillerhaus, dem Park an der Ilm und dem Stadtschloss werden sich die Schülerinnen und Schüler der Weimarer Klassik als eines Höhepunkts nicht nur der deutschen Geistesgeschichte bewusst, das KZ Buchenwald, auf dem Ettersberg in unmittelbarer Nähe der Stadt gelegen, konfrontiert sie mit den Untaten, zu welchen in der NS-Diktatur Deutsche fähig waren. Die letzte Station der Exkursion schließlich, der kleine Ort Mödlareuth, veranschaulicht die deutsche Teilung als unmittelbare Folge des verlorenen Zweiten Weltkriegs, denn bis 1989 zerschnitt eine Mauer das Dorf und zerriss Freundschaften und Familienbande, ist aber zugleich Sinnbild für deren Überwindung durch den Mauerfall und die Wiedervereinigung Deutschlands.
Die Fahrt nach Weimar ist für die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler des JEG also eine Fahrt, die vielfältige, z. T. auch beklemmende Eindrücke hinterlässt; exemplarisch dafür Lucy Schicklings (9 C) einfühlsamer Bericht über den Besuch des Konzentrationslagers Buchenwald am 20. Juli:
„Die Besichtigung begann mit einem Film. Einem erschreckenden Film über die Gräueltaten der Nationalsozialisten in Buchenwald. Noch nie verspürte ich eine derart unbändige Wut in mir, als ich in diesem Kino saß. Nach diesem Film konnte man die Traurigkeit und den Zorn in vielen Gesichtern der Mitschülerinnen und Mitschülern ablesen.
Mit Audioguides ging nun jede Gruppe ihren eigenen Weg durch das Konzentrationslager weiter. Anfangs erschien die ehemalige Kaserne der SS-Wachmannschaften wie ein gewöhnliches Gebäude, hinter deren Mauern niemand eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte erahnen würde. Doch sobald wir durch das Tor mit der Inschrift „Jedem das Seine“ gingen, packte uns die Schwere dieses Ortes. Ein gewaltiges Grundstück voller Leid lag vor uns. Beim Gang zum Krematorium zog sich mein Herz zusammen und etwas Unsichtbares wollte mich von diesem Ort einfach nur wegziehen. Kratzspuren. Überall Kratzspuren. An den Wänden und auf dem Seziertisch, der für schreckliche Experimente an Menschen genutzt wurde. In diesem Gebäude begann ich erst richtig zu realisieren, welch unvorstellbare, unmenschliche Taten sich in der Zeit des Bestehens des KZs von 1937 bis 1945 hier abgespielt haben müssen. Erstarrt blickte ich auf alles, was davon dort übrig geblieben war. So viele Jahre dies nun her ist, konnte ich dennoch jede einzelne brutale Tat vor meinem inneren Auge sehen.
Die letzte Station war das Museum. Ein Stummfilm über die Häftlinge im KZ überwältigte mich schließlich mit einer Welle an Emotionen: Ein Mann, gestützt auf Krücken und mit Kleiderfetzen am Leib, der nur noch aus Haut und Knochen bestand. Ein kleiner Junge, dem eine Träne über die Wange kullerte und Leichenberge, die wie gleichgültig weggeworfener Abfall verteilt auf dem Gelände lagen. Tränen liefen meinen Freundinnen und mir über das Gesicht und vermischten sich mit dem einsetzenden Regen, der uns außerhalb des Museums empfing.
Bedrückt und fast schweigend gingen wir zum Bus, der uns wieder in die Jugendherberge brachte. Die Fahrt verlief deutlich stiller als bisher, da wir das Gehörte und Gesehene nun erst einmal verarbeiten mussten. Die Besichtigung des Konzentrationslagers Buchenwald war eine nur schwer auszuhaltende, traurige Erfahrung, aber ein unerlässlicher Einblick in die menschenverachtende Schreckensherrschaft des NS-Regimes, die nie in Vergessenheit geraten und sich keinesfalls wiederholen darf.“
Schickling, Thum