Bizarre Bücherwelten: JEG fährt zur Frankfurter Buchmesse
„Auch ich in Arkadien.“ Goethe hatte dabei eher Italien im Sinn, aber er konnte auch nicht ahnen, dass kaum 200 Jahre später seine Geburtsstadt Frankfurt Ausrichterin der weltgrößten Buchmesse sein würde. Das wahre Arkadien für Bücherfreundinnen und Gerneleser also. Diesen Ort zu finden und sich zu eigen zu machen, nahmen sich am 20. Oktober eine Busladung Schülerinnen und Schüler sowie eine Hand voll Lehrkräfte aus dem Julius-Echter-Gymnasium vor und wurden nicht enttäuscht: Bücher gab es tatsächlich wie Sand an der Adria. Überraschend war eher das ganze Drumherum, das die Präsentation der Bücher begleitete.
Da wäre an erster Stelle die Prominenz zu nennen, die sich auf der Buchmesse versammelte, um ganz uneigennützig für das Medium Buch zu werben, besonders, wenn es sich um das eigene handelte. Gesehen wurden etwa Deborah Feldman, Sophie Passmann, Thea Dorn und Navid Kermani. Ein Massenandrang vorwiegend junger weiblicher Fans herrschte bei Kelly Cassie, einer Youtuberin, deren Professionalität sich vor allem in ihrem netztauglich-freundlichen Dauergrinsen zeigte, mit dem sie sich von ihren Adorantinnen umarmen ließ. Absolute A-Promis waren natürlich Bernd das Brot und Mainzelmännchen Det, mit denen ein Bild gemacht zu haben einige Lehrkräfte sehr froh gestimmt hat, wie auf dem Foto zu sehen.
Auf die Messebesucher lauerten auch jede Menge interessante Vorträge. Angelockt von Gratisleitungswasser fanden sich einige unserer Lehrkräfte unvermutet (und unfreiwillig) am Stand der Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Veranstaltung mit dem Thema „Steuerprivilegien bei Erbschaften und Schenkungen“ von Julia Jirmann ein. Trotz des zugegebenermaßen wenig attraktiven Titels entpuppte sich diese dann als sehr aufschlussreich. So erben empirisch betrachtet mehr Männer, die Christian heißen, große Vermögen als Frauen. Seit 2009 sind der Bundesrepublik mehr als 78 Milliarden Euro an Erbschaftssteuer entgangen, wogegen sich einige Jungkapitalisten unter 14 Jahren über ein Erbe von insgesamt 33 Milliarden innerhalb eines Jahres freuen konnten.
Ernüchtert ob der krassen sozialen Ungleichheit in unserem Land freute man sich um so mehr über die Geschenke, die es an den Messeständen abzugreifen gab: The Länd, wie sich Baden-Württemberg bescheiden selbstironisch nennt, hat gegönnt, andere Stände waren da wesentlich knausriger (z. B. Schottland). Falls die bereitliegenden Präsente Rückschlüsse über die Solvenz der Schenkenden erlauben, scheint es dem Wirtschaftsstandort Deutschland trotz allem (siehe oben) immer noch gut zu gehen: Vom edlen, nachhaltigen Holzkugelschreiber bis zur noch edleren Jutetasche mit zwei (!) Fächern gab es nichts, was nicht großzügig ausgegeben wurde.
Es sei denn vielleicht die Anzahl der Gratisgetränke. Damit man zunächst in nüchternem Zustand die Buchmesse besuchen kann, wurde um 15 Uhr der angebotene Apérol noch zurückgewiesen und stattdessen Espresso aus Schnapsgläsern der Süddeutschen Zeitung geext, um dann kurz vor Messeende doch noch wahllos Sektgläser in die Hand gedrückt zu bekommen. Dazu wurden „Püllekens“ auf den zum Tresen umfunktionierten Empfangstisch platziert, die man sogar mitnehmen durfte, wenn auch unter den indignierten Blicken der für den Ausschank verantwortlichen Praktikantin.
Dafür, dass die Frankfurter Buchmesse in der Weltrangliste des Bücherpräsentierens seit Jahren ganz oben mitspielt, sorgen die zahlreichen Aussteller aus dem In- und Ausland: An erster Stelle ist hier das Fürstentum Liechtenstein zu nennen, denn im Vergleich mit anderen Nationen beschäftigte es an seinem Stand die meisten Landeskinder (was allerdings auch nicht schwer ist, wenn man nur halb so viele Einwohner hat wie die Stadt Aschaffenburg). Slowenien, das diesjährige Partnerland der Buchmesse, stellte sich als Staat vor, dessen überschaubarer Buchmarkt dennoch vor „Vielfalt“ strotzt. Kein Wunder bei einem Land, in dem sich jeder zweite zum Dichter berufen fühlt. Trotzdem scheint Slowenien bei seinen Bürgern auch Fluchtreflexe auszulösen, wenn man sich die Menge an Reiseliteratur anschaut, welche den Löwenanteil der ausgestellten Buchproduktion ausmachte. Um die kulinarische Vielfalt war es ähnlich bestellt, denn an den zwei Essensausgaben mit slowenischen Spezialitäten waren Eintopfgerichte eindeutig in der Überzahl. Da die Bundesrepublik nicht nur demokratisch und sozial, sondern darüber hinaus auch ein Bundesstaat ist (Art. 20 Grundgesetz), war das Inland gleich 16mal vertreten: Während einige Bundesländer sich im gewohnten Look präsentierten (Rheinland-Pfalz, wer hätte es gedacht, recht weinlastig), verblüffte der Freistaat Bayern mit jugendlichem Pink. Offensichtlich waren die bayerischen Offiziellen davon selbst so überrascht, dass sie diesem liberal-progressiven Flair durch liebevoll arrangierte Holzstapel gegenzusteuern versuchten. So erklärt sich evtl. auch das verlegerische Highlight der ganzen Messe, der Bestseller „Holzstöße der Oberpfalz“, ein Buch vom Büro Wilhelm Verlag, das tatsächlich hält, was der Titel verspricht: Seit Jahren hat die weltweit anschwellende Holzstoßcrowd auf ein profundes Werk wie dieses gewartet, das dem durchweg und traditionell erratischen Wesen der Holzstapelei kundig, kognitiv und gnadenlos analytisch zu Leibe bzw. auf den Stapel rückt.
Nun aber genug der Ansichten und Eindrücke einer Hand voll begleitender, bücherbegeisterter (Deutsch)Lehrer, denn immerhin eroberten mit ihnen 46 Schülerinnen (die zwei Schüler subsummieren wir ausnahmsweise mal unter der weiblichen Form) die heiligen Hallen geballten Wissens und Phantasierens. Ist man den Betrachtungen allerdings bis zu diesem letzten Abschnitt gefolgt, so nimmt es nicht Wunder, dass auch hier sich deutliche Stimmen der Begeisterung finden: Das internationale Flair der Veranstaltung, der unmittelbare Kontakt mit den Buchautorinnen und Bücherschreibern und deren Inspiration für ihre Geschichten sowie die Begegnung mit Menschen aus aller Herren Länder mit Zeit für einen Plausch scheinen dabei besonderes Vergnügen bereitet zu haben.
Aber auch unsere Schüler sind anfällig für die Seiten des Konsums – und da wären wir abschließend wieder bei Goethe „Was man schwarz auf weiß besitzt/ Kann man getrost nach Hause tragen.“
Die Buchmesse als Event für jeden Geschmack also! Wer Bücher liebt, sollte im nächsten Jahr unbedingt wieder mitfahren, und wer nicht, erst recht!
Ingenbleek/Thum